Polnische Impressionen und Sehnsucht nach der Ferne
Stefan Arczyński (1916-2022) – Ein Fotografenleben
Mit mehr als 100.000 Negativen, Dias und Positiven ist der Bestand Stefan Arczyński eine der größten Sammlungen im Bildarchiv des Herder-Instituts. Am 28. August 2022 ist der bekannte deutsch-polnische Fotograf verstorben. Zum Gedenken präsentieren wir die 2016 veröffentlichte Ausstellung „100 Jahre – 100 Bilder: Stefan Arczyński“, die im Jahr 2021 mit Aufnahmen von seinen Auslandsreisen ergänzt wurde und damit den „anderen“ Arczyński präsentierte.
Die Bilder zeigen Motive aus der ganzen Welt, die seine herausragenden Qualitäten als Kunstfotograf aufzeigen. Dabei galt Arczyńskis leidenschaftliches Interesse natürlichen sowie von Menschenhand geschaffenen Formen und Strukturen (Dächer, Bäume, Landschaften), dem städtischen Leben („Street Life“) und nicht zuletzt den Menschen selbst: Während seiner vielen Reisen durch Europa, die USA, nach Asien und Afrika entstanden eindrucksvolle Porträtaufnahmen.
Nach den ausgewählten Motiven zu diesen Themenbereichen aus aller Welt folgt in der Bildergalerie die zu Stefan Arczyńskis 100. Geburtstag gestaltete Bildfolge: ein Abschnitt zeigt die Bandbreite seines fotografischen Interesses; es folgen vielfältige Bilder aus Arczyńskis Wahl-Heimatstadt Wrocław/Breslau; anschließend setzen Farbaufnahmen aus Polen einen bunten Akzent; die letzte Sektion bietet charakteristische Motive zur polnischen Hauptstadt Warszawa/Warschau.
Stefan Arczyński
Stefan Arczyński wurde 1916 als Sohn eines polnischen Emigranten und aktiven Mitglieds des Polenbundes in Essen geboren. Ab 1934 machte er dort eine Fotografenlehre und wurde 1938 als Fototechniker zur Luftwaffe einberufen. Im 2. Weltkrieg nahm er an verschiedenen Feldzügen, u.a. in Frankreich und der Sowjetunion, teil. Wegen Verdachts auf Sympathisantentum mit Polen war er zeitweilig inhaftiert. Sein Vater wurde aus den gleichen Gründen 1940 von den Nationalsozialisten verurteilt und ermordet. Arczyńskis Bruder kämpfte als Offizier auf polnischer Seite, zuerst 1939 in Polen, dann in Italien. Stefan Arczyński geriet im Mai 1945 in Lettland in sowjetische Kriegsgefangenschaft.
Dank seiner früheren Mitgliedschaft im Polenbund kam er 1946 nach Polen, wo er zunächst in Kamienna Góra/Landeshut und ab 1950 in Wrocław/Breslau ein Fotoatelier eröffnete. In den nächsten Jahrzehnten arbeitete Arczyński freiberuflich als Kunstfotograf für zahlreiche Verlage und Presseorgane, dokumentierte Kunst- und Baudenkmäler, das Kulturleben in Niederschlesien und Polen und fotografierte auf Reisen in der ganzen Welt. Seit 1956 präsentierte er seine Kunstwerke in zahlreichen Ausstellungen und wurde dafür mehrmals ausgezeichnet.
Die Fotografien von Stefan Arczyński spiegeln die Zeitgeschichte des 20. Jahrhunderts wieder. Insbesondere Eindrücke aus Deutschland und Polen prägten das Leben und Werk des Fotografen. Frühe Aufnahmen zeigen die Olympiade in Berlin 1936, danach entstanden Kriegsaufnahmen, Fotodokumentationen von Kriegszerstörungen in Breslau und anderen polnischen Städten, sowie von deren späteren Wiederaufbau. Darüber hinaus hielt Arczyński das kulturelle Leben im Polen der Nachkriegszeit fest. Bei zahlreichen Auslandsreisen nahm er Motive auf, die uns den Geist ihrer Zeit wiedergeben. Seine Werke sind jedoch fernab jeder Ideologie. Vielmehr zeigen sie das besondere Interesse des Fotografen an Menschen und ihrem Leben. Dies drücken die zahlreichen Porträts sowie Momentaufnahmen des Großstadtlebens aus. Viele der Bilder belegen zudem seine Begeisterung für die darstellenden und bildenden Künste, wie Theater- oder Ballettaufführungen, Malerei, Plastik und vor allem Architektur. Nicht zuletzt zeugen sie von der Faszination des Fotografen für die Natur, ihre Kraft und Dynamik, die in Landschaftsmotiven ihren Ausdruck findet. Die perfekte Beherrschung der Schwarzweißfotografie ermöglichte ihm eine plastische Modellierung der aufgenommenen Objekte und Szenen.
Stefan Arczyńskis Bilder führen dem Betrachter die ästhetische Sensibilität des Künstlers vor Augen, die sowohl die Motivwahl als auch den Blickwinkel und die Bildkomposition bestimmte.