Migrantischer Alltag in polnischen Städten im 18. und frühen 19. Jahrhundert
Jahrestagung der Kommission für die Geschichte der Deutschen in Polen e. V.
Veranstaltungsort: Herder-Institut für historische Ostmitteleuropaforschung, Marburg, Datum: 28. bis 30. September 2023
Die Städte auf dem Gebiet der Polnisch-Litauischen Adelsrepublik erlebten im 18. und frühen 19. Jahrhundert neue Zuwanderungswellen aus verschiedenen Teilen Europas. Die Neuankömmlinge trafen in Städten wie Danzig, Thorn, Posen, Wilna, Lemberg, Krakau oder Warschau auf eine traditionell vielsprachige und multikonfessionelle Umgebung. Zugleich trug ihre Ankunft zu einer weiteren Ausdifferenzierung in unterschiedliche Gemeinschaften bei, wobei Sprache und Religion eine wesentliche Rolle spielten. Gleichzeitig lässt sich im 18. und frühen 19. Jahrhundert eine Tendenz zur Rechtsvereinheitlichung und damit zur Auflösung des frühneuzeitlichen Nebeneinanders verschiedener Gruppen beobachten, die wiederum Auswirkungen auf die weitere Zuwanderung hatte.
Die Tagung möchte den Fokus auf den Zeitraum zwischen circa 1750 und 1830 legen. In den Jahrzehnten zwischen der Polnisch-Sächsischen Union und dem Novemberaufstand gegen die Teilungsmächte liegen zahlreiche wichtige Zäsuren der politischen Geschichte Polens. Die Reformpolitik unter dem letzten polnischen Königs Stanisław August Poniatowski (1764–1795) sowie die Neuordnung der Rechtsverhältnisse nach den Teilungen (1772, 1793, 1795), im Herzogtum Warschau (1806–1812) und schließlich unter erneuter Teilungsherrschaft nach 1815 haben sich unzweifelhaft stets auf das Zusammenleben der multiethnischen, multikonfessionellen und polylingualen Bevölkerung der polnischen Städte ausgewirkt. Dasselbe gilt sicher auch für die militärischen Auseinandersetzungen, von denen die Städte in Mitleidenschaft gezogen wurden, beginnend mit der Konföderation von Bar (1768–1772) über den Kościuszkoaufstand (1794) und den großpolnischen Aufstand (1806) bis hin zur Austragung der napoleonischen Kriege auf polnischem Boden (1806/7, 1809, 1812/13). Dabei konnten Forschungen etwa zur Geschichte der deutschsprachigen und der jüdischen Bevölkerung in Polen zeigen, dass die Trennlinien in den politischen Konflikten sich nicht zwingend mit denen zwischen unterschiedlichen Herkunfts-, Sprach- und Religionsgruppen deckten.
Der große Zeitraum von über acht Jahrzehnten ermöglicht es, über die politischen Zäsuren hinweg nach der langfristigen Gestalt migrantischer Kommunikationsräume in der polnischen Umgebung zu fragen. Die Tagung möchte daher die Vertrautheit alltäglicher Begegnungen in den Vordergrund rücken. Es soll um solche Kontakte gehen, die zu einer wiederkehrenden Interaktion und gegebenenfalls zu gegenseitigen Transfer- und Assimilationsprozessen führten. Wesentlich ist hierbei, dass die untersuchten Kontakte sowohl freundschaftlicher, neutraler oder feindlicher Natur sein können. Beispielsweise, weil man miteinander Handel trieb, in ähnlichen gesellschaftlichen Kreisen verkehrte und kulturelle Neigungen teilte, gemeinsame korporative Interessen oder politische Ziele verfolgte, oder aber weil man als wirtschaftliche Konkurrenten, als Besatzer und Besetzte bzw. als Verwalter und Verwaltete aufeinanderstieß.
Ziel der Tagung soll daher sein, der Darstellung von Austausch- und Transferverhältnissen zwischen der zugewanderten und der einheimischen Bevölkerung zu bestimmten Zeiten an bestimmten Orten nachzugehen. Dies soll es in der Zusammenschau letztlich ermöglichen, der Frage nachzugehen, inwieweit sich der alltägliche Umgang zwischen Einheimischen und Zugezogenen sowohl innerhalb bestimmter Gruppen als auch über deren Rahmen hinaus im Zuge der großen politischen und kulturellen Umbrüche um 1800 veränderte.
In diesem Rahmen interessieren sowohl Vorträge zu Einzelpersonen als auch zu Gruppen.
Fragen könnten sein:
– An welchen konkreten Orten trafen Einheimische und Migranten aufeinander? (Beispiele könnten sein: Kantor, Markt, Zunft-/Brüderschaftsversammlung, Rathaus, Adelsball, ökonomische Kontakte, Amtsstube etc.)
– Welche Arten der Begegnung lassen sich beobachten? (beispielsweise Geschäfte, Hochzeiten, Verwaltungsakte etc.)
– Welche geschlechtsspezifischen Aspekte beeinflussten die soziale Interaktion?
– Welche Bedeutung hatten Konfession und Religion?
– Welche Rolle nahmen Migranten bspw. als Repräsentanten der Teilungsmächte oder als Experten ein?
– Wie beeinflussten gedruckte Medien und deren Macher die Meinungsbildung und Kommunikation in den Städten?
Die Kommission für die Geschichte der Deutschen in Polen übernimmt die Reisekosten der Vortragenden für die Anreise mit der Bahn (2. Klasse) sowie die Kosten für Übernachtung und Verpflegung in Marburg.
Bitte schicken Sie bis zum 1. April 2023 ein kurzes Abstract von maximal 250 Worten in deutscher, polnischer oder englischer Sprache an Dr. Markus Nesselrodt (nesselrodt@europa-uni.de). Wir melden uns bis zum 1. Mai 2023 zurück.
Kontakt: E-Mail: nesselrodt@europa-uni.de