Dinge – Akteure – Räume
Tagung des Arbeitskreises deutscher und polnischer Kunsthistoriker und Denkmalpfleger Stettin, 28. September – 1. Oktober 2022
Seit seinen Anfängen ist das Museum mehr ein Ort der Kontroverse als des Dialogs, mehr ein Ort der Exklusion denn der Emanzipation. Im Raum des Museums überlappen sich – in der Vergangenheit ebenso wie in der Gegenwart – die Sphären von Macht und kultureller Produktivität. Geschichtsnarrationen in Museen können Spaltungen vertiefen oder sogar erst erzeugen, quer durch die jeweilige Gesellschaft, aber auch – wie Pierre Bourdieu betonte – zwischen ethnischen und nationalen Gruppen. Im Besonderen gilt dies für die auf ethnischer und sprachlicher Distinktion basierenden modernen Staaten des östlichen Europas: Museen in Grenzregionen spielen eine besondere Rolle, sie werden zu Instrumenten der Verteidigung oder der Propagierung nationaler Kultur. In Zeiten geopolitischer Grenzverschiebungen wurden sie zum strategischen Objekt und zum Vehikel für eine Re- bzw. Akkulturation.
Die diesjährige Tagung des Arbeitskreises polnischer und deutscher Kunsthistoriker und Denkmalpfleger befasst sich mit dem Museum als ideologisch aufgeladener Sammlung von Dingen im Raum, geschaffen von Akteur*innen, die sich ihrer gesellschaftlichen Aufgabe bewusst sind. Der Fokus liegt auf Geschichte und Gegenwart des östlichen Europas in einem weit gefassten Sinne – als Raum mit oft komplizierten nationalen und ethnischen Verhältnissen und mehrfach verschobenen Staatsgrenzen, in dem National-, Regional- und Lokalmuseen unter staatlicher, regionaler, städtischer oder privater Trägerschaft existieren. Die Institution Museum soll als Ort betrachtet werden, an dem sich soziale, nationale und kulturelle Spannungen bündeln, als Ort, der ebenso als Brücke zwischen der schwierigen Vergangenheit und der komplexen Gegenwart fungieren kann, als Ort der Vermittlung, Konsolidierung und der Analyse.
Ehemalige und gegenwärtige Museen im östlichen Europa sollen im Kontext der drei folgenden Begriffsfelder betrachtet werden:
Dinge: Der Blick richtet sich auf einzelne Objekte ebenso wie auf ganze Sammlungen, auf Exponate, an denen sich einst oder heute Kontroversen entzünd(et)en, auf Konfliktherde zwischen Gesellschaften und Nationen, bedeutungsvoll für die jeweilige Identitätsbildung. Zur Nachverfolgung der wechselvollen Geschichte und der Migration von Objekten gewinnt die Provenienzforschung an Bedeutung, als Plattform gleichermaßen für Kooperation und Diskussion. Wie wandeln sich die inhaltlichen Zuschreibungen von musealen Sammlungen im Kontext unterschiedlicher lokaler, nationaler oder imperialer Bedeutungsschichten, wie verändern sich ihr Status und ihre Aussagekraft bei einem Besitzerwechsel, bei der Übernahme eines Museums durch die Behörden eines anderen Staates, durch gesellschaftliche Transformationen etc.?
Akteure: Welche Rolle spielen Museumsmitarbeiter*innen, Sammler*innen, Forscher*innen, Vertreter*innen verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen (Geschichte, Kunstgeschichte, Ethnologie, Archäologie), die ihre Arbeit manchmal in den Dienst der Propaganda und der staatlichen Politik stellen, manchmal aber ihrem eigenen Sammlungskonzept folgen, unabhängig von offiziellen Vorgaben. Welche Visionen, Aktivitäten und Haltungen entwickel(te)n sie gegenüber den Herausforderungen historischer, politischer und gesellschaftlicher Veränderungen?
Räume: In diesen Themenkomplex gehören Fragen nach Symbolik und Bedeutung der Architektur von Museumsgebäuden, nach der Art der musealen Präsentation und Narration, nach deren Botschaft und deren Rezeption durch das Publikum gestern und heute. Zu untersuchen ist die Lokalisation der Museumsgebäude im städtischen Umfeld: Welchen Stellenwert hatten sie im öffentlichen Raum, welche Rolle spielen sie heute? Einen eigenen ‚Raum‘ nehmen in aktuellen Diskursen die Territorien der außereuropäischen Kolonien ein. Die von dort stammenden Artefakte erweisen sich als doppelt ‚schwieriges Erbe‘, unabhängig davon, ob sie am ehemaligen Aufbewahrungsort verblieben oder nach den Grenzverschiebungen im östlichen Europa einen neuen Standort erhielten.
Wir erwarten 20-minütige Beiträge zu Diskursen und Fallbeispielen aus dem östlichen Europa (Deutschland, Polen, Tschechische Republik, Slowakei, Österreich, Ungarn, Rumänien, Slowenien, Kroatien, Bosnien-Herzegowina, Serbien, Montenegro, Albanien, Litauen, Lettland, Estland, Weißrussland, Ukraine, Russland). Neben den thematischen Vorträgen bietet die Informationsbörse des Arbeitskreises ein Forum zur Vorstellung aktuell laufender, individueller oder institutioneller Forschungsprojekte zur Kunstgeschichte und Denkmalpflege zum Themenbereich des gemeinsamen Kulturerbes im östlichen Europa, insbesondere zu den Interferenzen zwischen Polen und Deutschland (Kurzreferate, max. 10 Min.).
Konferenzsprachen sind Deutsch, Polnisch und Englisch; ein Simultandolmetschen ist geplant.
Tagungsort ist das Nationalmuseum Stettin / Muzeum Narodowe w Szczecinie.
Wissenschaftliche Leitung der Tagung: Dr. Dariusz Kacprzak (Nationalmuseum Stettin), Dr. Kamila Kłudkiewicz (Institut für Kunstgeschichte, Adam-Mickiewicz-Universität in Poznań/Posen), Dr. Szymon P. Kubiak (Nationalmuseum Stettin, Akademie der Künste in Stettin).
Bitte senden Sie Ihr Exposé für einen Vortrag bzw. die Informationsbörse (max. 1800 Zeichen mit Leerzeichen), einen kurzen Lebenslauf sowie Angaben zu Ihrer derzeitigen Tätigkeit bis zum 31. März 2022 an die Adresse: s.kubiak@muzeum.szczecin.pl