Oberschlesien aus der Luft
Vorstellung der Buchpublikation und Ausstellung zum gleichnamigen, trinationalen Projekt
Das Herder-Institut beherbergt umfangreiche Sammlungen mit einzigartigen historischen und aktuellen Schrägluftaufnahmen, die eine wertvolle Quelle zur Erforschung der regionalen Entwicklung Oberschlesiens in den letzten 100 Jahren darstellen. Die Aufnahmen aus Oberschlesien dokumentieren sowohl die umfassenden Auswirkungen, die für die Region von der Industrialisierung ausgegangen sind, als auch die Veränderungen, die in jüngster Zeit durch den Strukturwandel ausgelöst wurden, sowie die oftmals wenig bekannte Vielfalt der Landschaft. Die besondere Qualität dieser Dokumente sowohl stärker in den Blick der Forschung als auch der interessierten Öffentlichkeit zu rücken, war das Ziel eines Projekts zwischen dem Herder-Institut für historische Ostmitteleuropaforschung in Marburg, der Universität Siegen und des Schlesischen Museums (Muzeum Śląskie) in Kattowitz/Katowice, dem Autoren und Übersetzer Dawid Smolorz und dem renommierten Fotografen Thomas Voßbeck. Als Blaupause dienten dabei die bereits abgeschlossenen Buch- und Ausstellungsprojekte des Herder-Instituts zu historischen Luftbildern von Wrocław/Breslau, Gdańsk/Danzig sowie der Region Niederschlesien.
Projektergebnisse in zwei Bildbänden
Die Ergebnisse des Projekts „Oberschlesien aus der Luft“ wurden in zwei Bildbänden zusammengefasst, die von Claudia Kraft und Dietmar Popp herausgegeben wurden. Der Band „Górny Śląsk z powietrza. Przed stu laty / Oberschlesien aus der Luft. Vor 100 Jahren / Horní Slezsko ze vzduchu. Před sto lety“ umfasst Aufnahmen aus den 1920er und 1930er Jahren, die hauptsächlich von der Firma Hansa Luftbild erstellt wurden, und heute als gleichnamige Sammlung zum Bestand des Bildarchivs des Herder-Instituts gehören. Die Begleittetxte zu diesem Band, der die historische Entwicklung der Kulturlandschaft Oberschlesiens behandelt, erstellte das wissenschaftliche Team bestehend aus Mitarbeiter*innen des Herder-Instituts Sławomir Brzezicki, Dariusz Gierczak, Ksenia Stanicka-Brzezicka und Thomas Urban sowie Ondřej Kolář vom Schlesischen Landesmuseum (Slezské zemské muzeum) in Opava/Troppau.
Die Bilderbeschreibungen im Band „Górny Śląsk z powietrza. Dzisiaj / Oberschlesien aus der Luft. Heute / Horní Slezsko ze vzduchu. Dnes“ stammen von Dawid Smolorz. Darüber hinaus haben Ryszard Kaczmarek von der Schlesischen Universität (Uniwersytet Śląski) in Kattowitz/Katowice und Thomas Voßbeck je einen Beitrag verfasst. Anhand der Landschaftsaufnahmen wird die Geschichte der Region behandelt. Die lokalen Eigenheiten werden dabei im Kontext der gegenwärtigen Entwicklung betrachtet. Thematisch grenzt sich dieser Band vom ersten Band ab. Um interessierte Leser*innen eine Vertiefung der Thematik zu ermöglichen, finden sich jedoch Verweise auf den jeweils anderen Band.
Die Heterogenität der Kulturlandschaft Oberschlesiens, die im 20. Jahrhundert zahlreiche Entwicklungsimpulse, aber auch Brüche erfuhr, ist nicht allein ein Ergebnis der wirtschaftlichen Prozesse. Auch die mehrfache Verschiebung der Grenzen hatte daran Anteil, die heute wie vor 100 Jahren die Region zwischen drei Staatswesen teilt. Ihr Verlauf wurde innerhalb einer relativ kurzen Zeit mehrfach verändert. Spuren dieser Veränderungen sind noch heute aus der Luft erkennbar. Aus der Luft werden aber auch die Übergänge sichtbar, wodurch sich der Blick auf die noch vor nicht allzu langer Zeit von Grenz- und Nationalkonflikten gezeichnete Landschaft von nationalen Perspektiven befreit.
Die hohe Bevölkerungszahl und die wirtschaftliche Bedeutung der dort ansässigen Industrie engen vielfach den Blick auf die Region auf das Industriegebiet um Kattowitz ein, insbesondere aus der polnischen Perspektive. Dadurch wird oft übersehen, dass der Raum jenseits der industriellen Ballungsräume ländlich geprägt ist. Nicht nur im Grundriss einiger der ältesten Städte der Region, aber auch in ihrem heutigen Gesamtbild ist ihr Ursprung als Land- bzw. Ackerbürgerstadt nicht zu übersehen.
Während die Montanindustriestädte einen enormen Aufschwung erlebten, verlief die Modernisierung in den Kleinstädten jenseits der Ballungsräume deutlich langsamer. Zunächst war die Modernisierung anhand der Verkehrsinfrastruktur erkennbar, insbesondere am Beispiel der Eisenbahn, deren Schienennetz bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts fast alle Städte der Region umspannte.
Vor allem entlang der Verkehrsstrecken wuchsen die Siedlungen weiter. Im 20. Jahrhundert nahm dabei die Bedeutung des Automobilverkehrs zu. Heute wird oft vergessen, dass vor dem Ausbau der Verkehrsnetze auf dem Land, die Wasserstraßen eine zentrale Rolle für den Warentransport gespielt haben. Um den Schwankungen des Wasserspiegels und anderen Unwägbarkeiten auf den Flüssen, hier vor allem auf der Oder, auszuweichen, wurde der Kanalbau forciert. Doch bereits in den 1930er Jahren nahm die Bedeutung der Wasserwege in Oberschlesien ab. Heute ist sie so gering, dass man ihr früheres Ausmaß erst wieder aus der Luft wahrnimmt.
Wandel seit den 1990er Jahren
Durch den Wandel seit den 1990er Jahren treten nun neue bzw. andere Elemente in der Landschaft hervor. Erst aus der Luftbildperspektive bekommt man ein Gespür z.B. für die weiten Wald- und Parkflächen in Oberschlesien. Diese erstrecken sich auch über ehemalige Halden und Industrieflächen. Zwischen den Industriezentren besteht außerdem Raum für die Landwirtschaft, und es gibt immer noch naturnahe Flächen. Doch bereits vor dem Zweiten Weltkrieg prägten die Landwirtschaft und die Wälder ganze Landstriche in der Region. Auch die groß angelegten Parkanlagen mit Sportobjekte und sonstigen Erholungseinrichtungen gehörten mit zum Bild der industriellen Großstädte. Da Oberschlesien von Kriegszerstörungen weitgehend verschont geblieben ist, lassen sich in vielen Orten trotz der vielschichtigen Veränderungen in der sich dynamisch entwickelten Landschaft alte Bauwerke und Strukturen wiedererkennen. Eine Konstante bilden zum Beispiel die Kirchenbauten oder die Herrenhäuser.
Siedlungsbau in Hindenburg/Zabrze mit Industrieanlagen im Hintergrund Schloss Moschen/Moszna bei Oppeln/Opole © Thomas Voßbeck, Herder-Institut für historische Ostmitteleuropaforschung Grüne Landschaften: Wälder an der Malapane/Mała Panew © Thomas Voßbeck, Herder-Institut für historische Ostmitteleuropaforschung Der Erholungskomplex mit dem Stadtpark in Beuthen/Bytom
Da die Hansa Luftbild einzig den deutschen Teil der Region überfliegen durfte, und historische Luftbilder aus den beiden anderen damaligen Teilen Oberschlesiens für dieses Projekt nicht zur Verfügung standen, ist die gesamte Region nur im Band mit den aktuellen Luftbildern festgehalten. Zum Konzept der Publikation gehört allerdings auch die Möglichkeit, sie unabhängig voneinander zu betrachten. Beide Bände beinhalten ein speziell für sie konzipiertes Ortsnamenverzeichnis mit einer dreisprachigen Konkordanz. Die Autoren des zweiten Bandes haben auf seiner Grundlage 2018 eine Freiluftausstellung für das Schlesische Museum in Kattowitz erstellt. Sie wurde bisher auf dem Gelände des historischen Silberbergwerks in Tarnowskie Góry gezeigt.
Weitere Informationen zum Projekt:
Oberschlesien aus der Luft
Upper Silesia from the Air
Projektbände:
Kraft, Claudia; Popp, Dietmar (Hg.): Górny Śląsk z powietrza. Przed stu laty / Oberschlesien aus der Luft. Vor 100 Jahren / Horní Slezsko ze vzduchu. Před sto lety. Katowice–Marburg 2019 (Materialien zu Kunst, Kultur und Geschichte Ostmitteleuropas 5).
Kraft, Claudia; Popp, Dietmar (Hg.): Górny Śląsk z powietrza. Dzisiaj / Oberschlesien aus der Luft. Heute / Horní Slezsko ze vzduchu. Dnes. Katowice–Marburg 2019 (Materialien zu Kunst, Kultur und Geschichte Ostmitteleuropas 6).
Zum Weiterlesen: Haslinger, Peter; Kreft, Wolfgang; Strauchold, Grzegorz; Żerelik, Rościsław (Hg.): Historisch-topographischer Atlas schlesischer Städte, insbesondere Band 1 Opole/Oppeln, oder auch Eysymontt, Rafał; Klimek, Stanisław: Städte Niederschlesiens im Luftbild / Miasta Dolnego Śląska na fotografii lotniczej (Materialien zu Kunst, Kultur und Geschichte Ostmitteleuropas 4).
Tolle Gegend, tolle Bilder