Schweriner Archivalien in einem Archiv zur ostmitteleuropäischen Geschichte
Unter den in unserem Hause verwahrten Archivalien befindet sich auch eine Bestallungsurkunde des Geheimen Baurats Karl Moeller, der am 29. Januar 1920 zum Oberbaurat bei der Generaldirektion der Mecklenburg-Schwerinschen Landeseisenbahn bestellt wurde. Wichtig war dem Aussteller der Urkunde der Hinweis auf die Unkündbarkeit der Dienststellung, die Nennung des Jahresgehalts sowie eine Aufstellung der pensionsfähigen und der nicht-pensionsfähigen Stellenzulagen. Die Urkunde ist mit einem großen Papiersiegel geschmückt.

Leicht stellt sich die Frage, warum das Archiv eines Instituts, das sich der ostmitteleuropäischen Geschichte verpflichtet fühlt, mecklenburgische Archivalien besitzt – zumal, wenn das Archiv sich auf die Sammlung deutschbaltischer Archivalien spezialisiert hat. Der Ankauf der Bestallungsurkunde, die sich in einer kleinen Sammlung älterer Schriftstücke zur Familie Möller in Schwerin befindet, datiert auf das Jahr 1963 (vgl. zum Vorgang insgesamt den diesbezüglichen Schriftverkehr des Herder-Instituts: DSHI 200 HFR/HI 1327, S. 289-293). Der quasi normale Weg, die Schriftstücke an ein Archiv abzugeben, wäre sicherlich der an das Stadtarchiv Schwerin gewesen. Nun lebte der Eigentümer der Archivalien aber in Westdeutschland. Rund anderthalb Jahre nach dem Mauerbau waren die Kontaktmöglichkeiten für ihn nach Schwerin recht umständlich und er versuchte, das Material an einer sinnvollen Stelle in Westdeutschland unterzubringen. Dies gelang ihm im Herder-Institut unter Vermittlung des Vorsitzenden der Historischen Kommission für Pommern, Franz Engel.
Seit seiner Gründung im April 1950 ist das Herder-Institut mit den historischen Kommissionen verbunden, die die ehemalig deutsch besiedelten Gebiete im östlichen Europa als Gegenstand ihrer Arbeit haben, so auch mit der Historischen Kommission für Pommern, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg 1951 in Westdeutschland neu gegründet hat. Nun liegt Schwerin nicht in Pommern (weder im heute deutschen noch im polnischen Teil des ehemaligen Herzogtums Pommern), sondern in Mecklenburg. Eine historische Kommission für Mecklenburg aber existierte in der Zeit nach 1945 nicht und wurde erst 1990 wiedergegründet. So wandte sich der Besitzer der Archivalien an die Historische Kommission, die für die Nachbarregion Pommern zuständig ist. Deren Vorsitzender vermittelte die Angelegenheit an das Herder-Institut und vermutete in seinem Anschreiben, hier habe man „Mittel für den Ankauf von Ostarchivalien“ (DSHI 200 HFR/HI 1327, S. 292). Diese hatte das Herder-Institut und besitzt nun in seinen Beständen mecklenburgische Archivalien aus der Stadt Schwerin, wenn auch nur in ganz bescheidenem Umfang. Dieser Besitz stellt in gewisser Weise für das Herder-Institut ein Kuriosum dar, ist aber aus der deutsch-deutschen Geschichte heraus leicht zu erklären.
An dem Erwerbungsvorgang von 1963 spiegelt sich nicht nur europäische und deutsche Teilungsgeschichte, sondern auch sprachgeschichtlicher und wissenschaftsgeschichtlicher Wandel wieder. Heute fallen Archivalien aus Mecklenburg nicht mehr in den Zuständigkeitsbereich des Herder-Instituts. Weder würde es diese ankaufen noch würden seine Angestellten diese als „Ostarchivalien“ bezeichnen.
Zahlreiche weitere Quellen aus der Dokumentesammlung des Herder-Instituts werden als „Archivale des Monats“ in kurzen Beiträgen vorgestellt.
Literatur:
- Peter-Joachim Rakow: Die Historische Kommission für Mecklenburg 1928-1945 – Bestrebungen und Erfahrungen, http://www.hiko-mecklenburg.de/geschichte.
- Roderich Schmidt: Pommersche Landesgeschichte und die Historische Kommission für Pommern, in: Werner Buchholz (Hrsg.): Landesgeschichte in Deutschland. Bestandsaufnahme – Analyse – Perspektiven, Paderborn / München 1998, S. 75-92.