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Baltica-Bestände im Bildarchiv

 

Im Bildarchiv des Herder-Instituts werden rund 50.000 Einheiten unterschiedlichster Bildmaterialien zum Baltikum aufbewahrt, darunter bedeutende historische Fotosammlungen. Diese dokumentieren das in Folge des Zweiten Weltkriegs in hohem Umfang verlorene Kulturerbe sowie die seitdem wesentlich veränderte Kulturlandschaft. Sie geben zudem Einblick in das Leben im Baltikum bis zur Umsiedlung der Deutschbalten 1939/40 bzw. bis zum Kriegsende 1944/45. Somit fungieren die Bestände im Bildarchiv des Herder-Instituts als Teil des ‚kollektiven Bildgedächtnisses‘ für die baltischen Länder.

Herrenhaus Jaunauce, Foto: Friedrich von Wolff-Lettin, Herder-Institut, Bildarchiv
Herrenhaus Jaunauce, Foto: Friedrich von Wolff-Lettin

Eine frühe Initiative der landeskundlichen Bilddokumentation ist mit Baron Friedrich von Wolff-Lettien (1883-1943) verbunden. Parallel zu seiner Tätigkeit als Viehinspektor hielt Wolff, ab 1920/21 Baudenkmäler und ländliche Lebenswelt in über 4 000 Aufnahmen fest. Zum Teil wurden ihm dabei auch Vorlagen für Reproduktionen zur Verfügung gestellt. Sie bildeten den Kern des in der Zwischenkriegszeit in Riga begründeten „Baltischen Baudenkmäler-Archivs“. Weiterhin waren die Aufnahmen die Grundlage für das zwischen 1926-1930 erschienene, dreibändige Standardwerk Das baltische Herrenhaus von Heinz Pirang.

Bestände des Architekturhistorikers Paul Campe

Für eine immense wissenschaftliche Sammel- und Forschungstätigkeit steht ferner das Werk des Architekturhistorikers Paul Campe (1885-1960). Seine bau- und kunstgeschichtliche Bildsammlung zu Liv- und Kurland samt umfangreichen Notizen wird im Bildarchiv aufbewahrt. (89 Kartons mit Manuskripten und rund 7 000 Bildeinheiten) Der eigentliche schriftliche Nachlass befindet sich in der Dokumentesammlung des Herder-Instituts (DSHI 100 Campe).

Die Sammlungen von Wolff und Campe sind überwiegend auf Bauwerke und ihre Ausstattung konzentrierten Kollektionen. Andere Bestände des Bildarchivs überliefern ehemals intakte museale Sammlungen in Riga und Mitau (Jelgava), die im Zweiten Weltkrieg entweder zerstreut oder zerstört wurden. Ausgehend von systematischen Erschließungsarbeiten gelang es in großen Teilen, die kulturhistorischen Kontexte dieser Bildquellen zu rekonstruieren. So wurde etwa zum 800-jährigen Stadtjubiläum Rigas 2001 in einem deutsch-lettischen Ausstellungs- und Katalogprojekt die Sammlungsgeschichte des vormaligen Dommuseums in Riga (heute Museum für Stadtgeschichte und Schifffahrt / Rīgas Vēstures un Kugniecības Muzejs) erforscht und präsentiert. Dabei bildete der entsprechende, seit 1957 im Herder-Institut aufbewahrte Bildbestand einen Schwerpunkt. (ca. 2000 Einheiten; deutsch-lettische Publikation: Das Dommuseum in Riga – Ein Haus für Wissenschaft und Kunst, Marburg 2001)

Eine ähnlich dichte Dokumentation zum 1945 zerstörten Kurländischen Provinzialmuseum Mitau (KPM) bietet die im Herder-Institut erhaltene Fotosammlung des Museums (ca. 1 500 Fotos). Mit Unterstützung der Böckler-Mare-Balticum-Stiftung konnten bereits Teile der Bildmaterialien und die in der Dokumentesammlung in Kopie überlieferten handschriftlichen Akzessionsbücher und Bestandskataloge (DSHI 590 Rep.Riga 39-41) digitalisiert und in Datenbanken aufbereitet werden. In einem deutschlettischen Projekt ist ferner eine virtuelle Rekonstruktion dieser für die baltische Provinz Kurland einst so zentralen kulturellen und wissenschaftlichen Institution geplant. Eine Reihe von Objekten aus den Sammlungen des KPM konnte in verschiedensten Einrichtungen in Lettland, Deutschland und Polen wiederaufgefunden und mit Hilfe der Quellen im Herder-Institut identifiziert werden.

Bestände des Fotografen Karl Hintzer

Die das Baltikum betreffenden Fotos von Karl Hintzer (rund 11 000), aber auch die von Alfred Schönfeld (rund 4 000) und Haro Schumacher (rund 500, z.T. Farbmaterial) dokumentieren zwar zum Teil auch die Bau- und Kunstdenkmäler in Estland und Lettland, daneben vor allem aber die Topografie der baltischen Städte und Orte, das Alltagsleben sowie politische Ereignisse und besondere kulturelle Aspekte in der Zeit der 1930er und frühen 1940er Jahre. Die Fotos aus der Zeit der deutschen und sowjetischen Besatzung spielen dabei eine besondere Rolle. Darüber hinaus hat Karl Hintzer das Leben der Exil-Esten in den DP-Lagern in Deutschland bis in die 1950er Jahre abgelichtet (rund 10 000 Fotos).

Signet des Litauen Archiv Reklaitis
Signet des Litauen Archiv Reklaitis

Die vom Exil-Litauer Povilas Reklaitis gesammelten Bildmaterialien unterschiedlichster medialer Ausprägung stellen zusammen mit den ebenfalls im Herder-Institut bewahrten kartografischen Materialien sowie den Büchern und Dokumenten eine vielfältige (kultur)historisch-landeskundliche Beschreibung Litauens in den Grenzen des Großfürstentums Litauen bzw. der litauisch-polnischen Union dar. Eine wichtige Ergänzung hierzu bietet der von dem aus Estland stammenden deutschbaltischen Architekten Erich Böckler ins Bildarchiv übernommene Bestand an historischer Grafik und Altkarten zum Baltikum allgemein (rund 300 Blatt inklusive Künstlergrafik). Das Memelland und der heute zu Litauen gehörende Teil des ehemaligen Ostpreußen sind ebenfalls durch historische (z.B. rund 100 Glasdias in der Sammlung der Martin-Opitz-Bibliothek) wie jüngere Fotografien unterschiedlicher Provenienz repräsentiert.

Daneben vermitteln eine Fülle von Aufnahmen verschiedener Fotografen aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts einen Eindruck von den baltischen Sowjetrepubliken seit dem Zweiten Weltkrieg. Zu nennen sind hier etwa die Dias von Erich Böckler (rund 4 000). Die Entwicklung der freien baltischen Staaten seit der Wende dokumentieren Fotos von Barbara von Girard, Imants Lancmanis und anderen. Mit dem litauischen Fotografen Kęstutis Stoškus zusammen konnte eine Ausstellung mit Begleitband zu barocken Kirchenbauten in Wilna (Vilnius) in aktuellen Aufnahmen realisiert werden. (Publikation: Barocke Sakralarchitektur in Wilna: Verfall und Erneuerung, Marburg 2002; polnische Version 2005)

Aktuelle Fotokampagnen ergänzen den Bildbestand
Herrenhaus Jaunauce, Foto: Vitolds Mašnovskis, Bildarchiv
Herrenhaus Jaunauce, Foto: Vitolds Mašnovskis

Ergänzt wurden die Bildbestände zu Lettland in jüngster Zeit durch Fotokampagnen, zum Beispiel von Wolfgang Schekanski (rund 550 Fotos). Die von Vitolds Mašnovskis in den letzten beiden Jahrzehnten erzeugten Fotodokumentation zu den Herrenhäusern (rund 3 500 Aufnahmen) konnte vom Bildarchiv übernommen werden. Letztere erlaubt eine hochinteressante Gegenüberstellung zu den historischen Fotos der Sammlung Wolff (bzw. der Publikation von Heinz Pirang). Im Online-Bildkatalog wurden für einige Beispiele bereits  Verknüpfungen der Datensätze durchgeführt. Sie zielt in der weiteren Zusammenarbeit mit dem lettischen Denkmalpfleger und Fotografen auf ein Dokumentations- und Ausstellungsprojekt zu diesem für die Kulturlandschaft des Baltikums charakteristischen (nicht nur architekturhistorischen) Phänomen. Dies stünde in guter Tradition mit dem bereits vor fast zwei Jahrzehnten mit dem Schloss Ruhental (Rundāle) durchgeführten Ausstellungs- und Katalogprojekt zum Gut Orellen (lettisch-deutsche Publikation: Gutshof unter den Eichen. Orellen und die Familie von Campenhausen in Livland, Riga 1998), an der neben der Dokumentesammlung des Herder-Instituts auch das Bildarchiv beteiligt war.

Dietmar Popp

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