Propagandapostkarten aus dem Ersten Weltkrieg
Lange Zeit bestimmte der Stellungskrieg an der Westfront den historischen Rückblick auf den Ersten Weltkrieg, das dramatische Kriegsgeschehen im Osten Europas erfuhr dagegen erst in jüngerer Zeit größere Aufmerksamkeit. Eine herausragende Rolle spielte dabei einer der Hauptkriegsschauplätze: das seit dem Ende des 18. Jahrhunderts zwischen Deutschland, Russland und Osterreich-Ungarn geteilte Polen. Als souveräner Staat war Polen 1795 von der politischen Landkarte verschwunden. Nach wiederholt gescheiterten Aufstandsversuchen wurden die verschiedenen polnischen Teilgebiete seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts immer enger in die staatlichen Strukturen der jeweiligen Teilungsmacht eingebunden und polnische Belange jeweils nur noch als deren innenpolitische Angelegenheit wahrgenommen.
Erst im zeitlichen Vorfeld des Ersten Weltkriegs und vor allem nach seinem Ausbruch gewann die „polnische Frage“ erneut an Gewicht, spielten polnische Vereinigungs- und Unabhängigkeitsbestrebungen international wieder eine Rolle und führten zu lebhaften Debatten darüber, wem Polen überhaupt gehöre. Polen zählte zwar nicht zu den kriegführenden Mächten, doch waren seine Territorien von Kriegsbeginn an von immenser strategischer Bedeutung. Hier rangen Deutschland und Österreich-Ungarn mit Russland um die Vorherrschaft, und das dreigeteilte Land und Volk der Polen wurde zu einem heißumkämpften Zankapfel.
Wechselnde Okkupationen verwüsteten weite Landstriche und hielten die betroffene Bevölkerung in einer vorsichtig abwartenden Grundhaltung befangen. Zugleich unterstrichen polnische Freiwilligenverbände ihre Entschlossenheit, polnische Interessen auch militärisch durchzusetzen. Je länger der Krieg andauerte, desto deutlicher mehrten sich in der polnischen Öffentlichkeit zudem diejenigen Stimmen, die ein völlig unabhängiges Polen anstrebten – ohne Anlehnung an irgendeine Großmacht.
Diese widersprüchliche Gemengelage manifestierte sich in heftigen militärischen wie in politischen Auseinandersetzungen, die immer auch publizistisch begleitet wurden. So betrieben alle Konfliktparteien eine energische Bildpropaganda, was einen regelrechten „Krieg der Bilder“ entfachte. Das beliebte und vielfach genutzte Massenkommunikationsmittel Postkarte spielte dabei eine kaum zu überschätzende Rolle: Die kleinformatigen Bildbotschaften der Propagandapostkarten transportierten schließlich äußerst anschaulich die zwischen 1914 und 1918 virulenten Polenkonzeptionen bis in den privaten Bereich hinein.
Anhand von 60 Propagandapostkarten aus Deutschland, Österreich-Ungarn, Russland, Polen und Frankreich zeigt die Ausstellung die Situation und Stimmung der Polen in dieser schicksalhaften Zeit auf und veranschaulicht ihre komplizierte Stellung in der internationalen Politik. Die Auswahl des Kartenmaterials basiert im Kern auf einer Privatsammlung, die durch einige Exemplare aus polnischen Museumsbeständen ergänzt wurde. Die gezeigten Bildpostkarten können selbstverständlich nur einen verschwindend kleinen Ausschnitt aus der üppigen Produktion von Polenmotiven im Ersten Weltkrieg bieten. Allein mit den sogenannten „Legionärskarten“ der polnischen Freiwilligenverbände aus dem Österreichischen Teilungsgebiet ließe sich unschwer eine eigenständige und weitaus umfangreichere Präsentation füllen. Das Ziel dieser Ausstellung ist es jedoch, einen einigermaßen verlässlichen Querschnitt damals gebräuchlicher Motivgruppen zu geben und so einen raschen Überblick über die im Ersten Weltkrieg propagierten Polenbilder zu ermöglichen.
Die Ausstellung will also möglichst viele und verschiedenartige Aspekte der „polnischen Frage“ im Ersten Weltkrieg aufzeigen. Dazu gehört neben der patriotischen Selbstdarstellung der Polen sowie der ihnen sekundierenden französischen Perspektive eben auch der Blickwinkel der drei Teilungsmächte Russland, Preußen-Deutschland und Österreich-Ungarn. Erst die Zusammenschau dieser konkurrierenden Sichtweisen erlaubt einen Gesamteindruck, welche Optionen damals propagiert und wie sie visuell umgesetzt wurden.
Die Ausstellung umfasst neben einer Einführung in das Gesamtthema 30 Tafeln mit deutschen und polnischen Erläuterungen zu den Bildinhalten der dargestellten Postkarten zu folgenden Themen:
Polnische Zeichen und Symbole / Allegorie der Polonia / Alte und neue Helden / Die polnischen Legionäre / Freund oder Feind? / Kriegsschauplatz Polen / Unter der Herrschaft der Mittelmächte / Brennpunkt Warschau / Der kolonialistische Blick der Besatzer / Freiheitsperspektiven für ganz Polen
Konzeption der Ausstellung und Auswahl der Postkarten: Prof. Dr. Rudolf Jaworski
Die Sammlung wurde von Prof. Dr. Rudolf Jaworski (*1944) seit den späten 1960er Jahren zusammengetragen. Sie wurde in Etappen an das Bildarchiv des Herder-Instituts übergeben. Mehrfach publizierte Jaworski auch zu diesem Thema, bspw. in den Büchern „Deutsche und tschechische Ansichten – Kollektive Identifikationsangebote auf Bildpostkarten in der späten Habsburgermonarchie“ oder „Mütter – Liebchen – Heroinen: Propagandapostkarten aus dem Ersten Weltkrieg“